Meine Vulvodynie Geschichte

Wie alles begann…

Mein erstes Mal. Genau hier beginnt meine Geschichte. Es war Sommer 2002, ich war 17 Jahre alt und wollte nicht als Jungfrau ins Erwachsenenleben starten. Also fasste ich den Entschluss, meine Jungfräulichkeit noch vor meinem 18. Geburtstag zu verlieren. Gesagt, getan. Vieles aus diesem Moment ist mittlerweile verschwommen, aber der Schmerz, den ich empfand, ist mir bis heute klar in Erinnerung geblieben. Damals war ich überzeugt, dass Schmerzen einfach zum ersten Mal dazugehören – ein unvermeidliches Opfer, das man bringen muss. Ich redete mir ein, dass es beim nächsten Mal bestimmt besser werden würde.

Schmerz war doch normal, oder? War das nicht, was alle erlebten?

Leider wurde es bei den nächsten Versuchen nicht besser. Jedes Mal beim Geschlechtsverkehr hatte ich Schmerzen in meiner Vagina. Es fühlte sich an, als würde mich ein Dolch von innen aufstechen. 

Damals, Anfang der 2000er, war sexuelle Aufklärung in der Gesellschaft kaum präsent. Die Bravo war eine der wenigen Quellen, aus der wir Jugendlichen unser Wissen über Sex zogen. ‚Dr. Sommer‘ beantwortete unsere Fragen, aber es ging immer nur um das Offensichtliche: Verhütung, Körperhygiene, die ersten Male – aber nie wirklich darum, wie sich Sex anfühlen sollte oder was man tun konnte, wenn es nicht so lief wie in den Hochglanzgeschichten. Der Biologieunterricht in der Schule war nicht besser. Die Lehrer redeten über Fortpflanzung, als wäre es ein mechanischer Prozess, aber niemand sprach über die Seele, über Intimität, über Lust oder Schmerz. 

Es fühlte sich an, als wäre mein Körper defekt, als ob ich nicht richtig funktionieren würde. Darüber zu sprechen, war mir nicht möglich. Die Worte blieben mir einfach im Hals stecken. Selbst meinen Freundinnen konnte ich nicht davon erzählen, als ob diese Scham mich erstickte. Sex war immer noch ein Tabuthema. An einen Arztbesuch war auch nicht zu denken – der Gedanke daran war wie eine Mauer, die sich vor mir auftürmte. Ich schämte mich und habe den Schmerz tief in mich hineingefressen. Irgendwas stimmte mit MIR als Person nicht – ich war der Fehler.

Von da an begann sich das verzerrte Bild von mir selbst in meinem Inneren festzukrallen – wie ein unsichtbarer Schatten, der mich jahrelang begleiten und mich in ständiger Scham vor meinem eigenen Körper leben lassen würde. Die Scham hatte mich fest im Griff. Von da an ließ ich Sex einfach über mich ergehen, – stumm hoffend, dass es eines Tages besser werden würde.

2011: Jetzt geht's richtig los

Bislang waren die Schmerzen ausschließlich beim Geschlechtsverkehr aufgetreten. Doch 2011 sollte sich das drastisch ändern – und mein Leben komplett auf den Kopf stellen.

Ich hatte gerade einen neuen Job angefangen und war am Anfang einer frischen Beziehung. Alles schien perfekt zu laufen, und mental fühlte ich mich so gut wie lange nicht mehr. Mein Leben war voller Freude, und ich war bereit, durchzustarten. Doch das Glück sollte nicht lange anhalten.

Es war Frühling in Berlin, die Stadt erwachte aus ihrem Winterschlaf, und alles blühte auf. Alles, außer mir. Denn da war dieser Schmerz, der mich plötzlich nicht mehr losließ. Ein unangenehmes Jucken und Brennen an meiner Vulva, das sich immer mehr verstärkte. Es fühlte sich wund an, fast so, als würde jemand permanent an meiner Haut reiben oder sie zwirbeln. Der Schmerz war immer da, ein ständiger Begleiter, der sich verschlimmerte, wenn ich lange saß oder enge Kleidung trug.

Die Symptome erinnerten mich vage an eine Pilzinfektion, die ich vor Jahren einmal hatte. Aber diesmal war es anders – es fehlten die typischen Anzeichen, die eine Pilzinfektion mit sich bringt. Trotzdem besorgte ich mir in der Apotheke ein Mittel, in der Hoffnung, das Problem schnell zu beheben. Doch die erhoffte Linderung blieb aus. Ich dachte zuerst, ich hätte das Produkt falsch angewendet und wiederholte die Behandlung. Aber auch beim zweiten Versuch wurde es nicht besser – im Gegenteil, die Schmerzen wurden schlimmer.

Der Beginn einer Odyssee

Was in den nächsten Jahren auf mich zukam, wird vielen von euch vielleicht vertraut vorkommen – denn es war der Anfang einer endlosen Suche nach Antworten.

Nachdem die Pilzbehandlung wirkungslos geblieben war, suchte ich meine Gynäkologin auf. Auch sie konnte keinen Pilz feststellen – doch schlimmer noch fand sie keinerlei Ursache für meine Schmerzen. „Es sieht alles normal aus“, sagte sie. Keine Unregelmäßigkeiten, keine Auffälligkeiten. Ihr Rat? Erst einmal auf die Rasur verzichten, keine Intimpflegeprodukte verwenden und den Bereich nur noch mit Wasser reinigen. Dann würde sich das Problem von selbst lösen, sagte sie.

Einerseits war ich erleichtert. Ich hatte keine schlimme Krankheit – das war zumindest eine gute Nachricht. Aber gleichzeitig war ich enttäuscht und ratlos. Ich hatte mir Antworten erhofft, eine klare Lösung für mein Problem, und stattdessen bekam ich vage Ratschläge, die sich nicht nach einer echten Lösung anfühlten. Dennoch vertraute ich ihr. Sie war schließlich die Expertin, oder? Also tat ich, was sie mir geraten hatte, und wartete. Und wartete. Und wartete. Doch nichts veränderte sich.

Nach Wochen ohne Besserung ging ich erneut zu ihr. Wieder untersuchte sie mich, wieder nichts Auffälliges. Dieses Mal fragte sie, ob ich vielleicht unter Stress stünde – als könnte das die Ursache für all meine Schmerzen sein. Aber ich war mir sicher: Stress war nicht der Auslöser. Was folgte, war eine endlose Odyssee, von einem Gynäkologen zum nächsten. Jeder schickte mich weiter, doch niemand fand eine Erklärung.

Schließlich wurde ich in die Dermatologie überwiesen. Dort wurden sämtliche Tests durchgeführt, um Krankheiten wie Neurodermitis, Schuppenflechte oder Lichen sclerosus auszuschließen. Es folgten Allergietests, Blutuntersuchungen – ich verlor den Überblick. Man verschrieb mir verschiedene Cremes, darunter auch Cortison. Doch nichts half.

Mit jedem Praxisbesuch fühlte ich mich weniger ernst genommen. Jedes Mal, wenn ich erneut vorstellig wurde, spürte ich, wie der Ton kühler wurde, die Geduld der Ärzt*innen schwand. Viele meinten, wenn es keine körperliche Ursache gäbe, müsste ich vielleicht an etwas Mentales denken. Und wieder: „Haben Sie Stress?“ Immer wieder dieser Satz.

Ein Teil von mir weigerte sich zu akzeptieren, dass ich „für immer“ mit diesen Schmerzen leben müsste. Dieser Teil suchte verzweifelt nach einer Antwort, nach irgendeinem Strohhalm, der mir Hoffnung geben könnte. Doch da war auch der andere Teil in mir – der Teil, der die Hoffnung längst aufgegeben hatte.

Ich fühlte mich allein und verunsichert. War das alles nur in meinem Kopf? Täuschte mich mein eigener Körper? Ich wusste irgendwann nicht mehr, was echt war und was Einbildung. Ich war innerlich zerrissen. Kennt ihr dieses Gefühl, wenn Hoffnung und Verzweiflung so nah beieinander liegen, dass ihr nicht mehr wisst, wohin mit euch? Was hat euch geholfen, durchzuhalten?

Der Zusammenbruch

Die Jahre vergingen, und ich lernte, mit den Schmerzen zu leben – mal besser, mal schlechter. Doch im Herbst 2020 kam der Zusammenbruch. Die Corona-Pandemie war auf ihrem Höhepunkt, und wir steckten alle im Lockdown. Ich verbrachte 90 % meiner Arbeitszeit im Homeoffice, an einem improvisierten Arbeitsplatz aus Gartenmöbeln – alles andere als ergonomisch. Wochenlange Fehlhaltung, wenig Bewegung, schlechtes Essen und der Nikotinentzug( ich hatte nach 20 Jahren vor kurzem mit dem Rauchen aufgehört) forderten ihren Tribut. Ab November 2020 hatte ich die schlimmsten Schmerzen in meiner Vulva und vor allem in meiner Klitoris, die ich je erlebt hatte. Es fühlte sich an, als hätte mich eine Wespe gestochen, begleitet von unerträglichem Juckreiz, der mich wahnsinnig machte. Schlafen? Unmöglich. Dieser Albtraum dauerte drei Wochen, bis ich schließlich meinen Hausarzt aufsuchte, um eine Krankschreibung zu bekommen.

Mein Hausarzt, ein älterer, weißer Mann, war der Letzte, mit dem ich über Schmerzen im Intimbereich sprechen wollte. Aber ich war am Ende. Es war mir egal – ich wollte nur noch in Embryohaltung im Bett liegen. Also erklärte ich ihm meine Situation so deutlich wie möglich. Dann kam die Überraschung: Er hatte eine Idee. „Frau Kosog, es könnte sein, dass ein Nerv, der sogenannte  “Nervus pudendus (Schamnerv)”, in Ihrem Becken irritiert ist und diese Schmerzen verursacht.“ Er riet mir, einen Orthopäden aufzusuchen, und schrieb mich krank.

Der Orthopäde fand nichts, auch nicht im MRT. Und dennoch: Ich hatte endlich einen Namen “Nervus pudendus (Schamnerv)” und konnte Dr. Google befragen.

Frag DR. Google and Call me Sherlock Holmes 

Zum Glück hat Dr. Google kein Wartezimmer, und so begann ich sofort mit der Suche. Bald stieß ich auf den „Nervus pudendus“ (Schamnerv), aber besonders auf englischsprachigen Seiten fand ich hilfreiche Informationen. Es tat sich eine neue Welt auf: Menschen mit ähnlichen Symptomen wie meinen. Zum ersten Mal las ich auch über Vulvodynie – und es machte Klick. Endlich hatte das, was ich fühlte, einen Namen, und ich war nicht mehr allein.

Diese Entdeckung zeigte mir, wie mächtig Wissen ist. Zu verstehen, was mit meinem Körper passiert, gab mir das Gefühl von Kontrolle und Freiheit. Vor allem aber: Ich bin nicht verrückt! Ich habe mir das nicht eingebildet. Ich kann meinem Körper und meinen Instinkten vertrauen.

Auf diesen Seiten fand ich auch Tipps zur Selbsthilfe. Aber davon an anderer Stelle mehr. 

Die offizielle Diagnose: Vulvodynie

Über Umwege bekam ich die Adresse einer Spezialistin für Vulvodynie an der Charité. Einen Termin zu vereinbaren war relativ einfach, aber man braucht eine Überweisung vom Frauenarzt*innen und sollte viel Zeit mitbringen. Ich habe dort fünf Stunden gewartet – aber es hat sich gelohnt. Die Sprechstunde findet parallel zum Krankenhausbetrieb statt, weshalb immer wieder Notfälle dazwischenkommen. Dafür nahm sich die Ärztin fast zwei Stunden für mich.

Zuerst führte sie eine sehr ausführliche Anamnese durch. Sie stellte Fragen zum Verlauf meiner Beschwerden und fragte auch nach möglichen Traumata, wie sexueller Belästigung. Anschließend untersuchte sie mich, um herauszufinden, wo genau die Schmerzen lagen. Mit einem Wattestäbchen tastete sie verschiedene Punkte in meiner Vagina und an der äußeren Vulva ab, um Druck auszuüben. Es tat weh – und die Schmerzen hielten noch Tage danach an.

Schließlich kam sie zu dem Ergebnis, dass ich an Vulvodynie leide, und schlug mir einen individuellen Behandlungsplan vor.

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Vulvodynie Definition: Der unsichtbarer Schmerz in meiner Vulva